IHRSINN - eine radikalfeministische lesbenzeitschrift






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Vorspeise

Montagabend ist IHRSINNsabend. Das ist eine Institution. Eine Institution in der Institution ist das gemeinsame Essen zu Anfang jeder Sitzung. Wie das so ist mit solchen Institutionen, mal sind sie einer lieb, mal lästig, ein wichtiges Ritual. Die jeweilige Gastgeberin kocht und alle anderen dürfen sich auf einen Wochenanfang mit warmem Abendessen freuen.

Seit vierzehn Jahren machen wir vier, Ulrike, Rita, Lena und Gitta IHRSINN. Wir vier sind von Anfang an dabei, die eine oder andere hat vielleicht einmal eine Nummer ausgesetzt, einige nicht mal das. Wir waren uns in der Redaktion nicht ganz sicher, ob wir kochen, seit es IHRSINN gibt. Die Redaktion setzte sich aus immer wieder anderen Frauen zusammen, in unseren Spitzenzeiten saßen wir zu neunt an der Tafel, ich (GB) weiß nicht mehr, wie wir das in unseren in der Regel kleinen Wohnungen überhaupt geschafft haben. Es kam durchaus vor, dass wir auf dem Boden saßen. Da frau nicht jünger wird, bin ich froh, dass wir nun alle bequem am Tisch Platz finden. Ein Vorteil der kleinen Zusammensetzung.

Unter sämtlichen IHRSINNsredakteurinnen seit Beginn 1989 findet sich ein Kontinuum bezüglich des Näheverhältnisses zur Küche. Da gab es die bekennenden Nichtköchinnen, Totalverweigerinnen. War auch in Ordnung. Für einige war es eine große Sache, die absolute Ausnahme für sich und andere zu kochen. Für andere ist es alltäglich.

Unter den Ihrsinnsredakteurinnen gehöre ich zur Untergruppe der begeisterten Köchinnen, allerdings: Ich hasse es, unter Zeitdruck und ohne vorherige Planung schnell noch einkaufen zu müssen, eiligst das vorgesehene Menü zustande zu bringen und unbedingt den Tisch noch liebevoll zu decken. Daher koche und gastgebe ich nicht so oft wie die anderen -gedankt sei dafür meinen verständnisvollen Kolleginnen!. (UJ)

Warum Zeit für das Kochen verwenden, wenn es so viel wichtigere Dinge zu erledigen gilt. Kochen erhöht nur den Stressfaktor. Vorher muss ich Zeit für die Essensplanung aufwenden, was will ich kochen, für wie viele, wann und wo kaufe ich ein, was geben meine Vorräte noch her. Dann das Einkaufen selbst, auf dem Markt, in diesem oder jenem Geschäft, biologisch oder nicht, wieviel Geld kann und will ich ausgeben, fahre ich für ein billigeres Angebot noch in einen anderen Laden, lasse ich meine Freundin noch etwas besorgen, was ich nicht schaffe, kriege ich Gemüse aus ihrem Garten, soll es Nachtisch geben, welchen, ein Fertigprodukt wie zum Beispiel Eis wäre zwar teurer, aber weniger Arbeit. Das Kochen bedeutet dann, ungefähr eine Stunde lang relativ schmerzfrei stehen zu können. Und dann das Spülen hinterher... (RK)

Nach der langen gemeinsamen Zeit weiß frau recht gut oder glaubt zu wissen, was die anderen mögen, welche sich worauf mit Begeisterung stürzt und welche keinen süßen Nachtisch essen wird. Es gibt legendäre Mahlzeiten, Anlässe, die zu Geschichten wurden, die immer wieder gern aufgewärmt werden, und - ob Zufall oder nicht - natürlich sind es die misslungenen Kochversuche, die kleinen Katastrophen, die am tiefsten in der Erinnerung verankert bleiben: Das zwar warme, aber nur unzureichend gegarte Gemüse aus dem Römertopf, Blumenkohl darunter, im rohen Zustand bekanntlich besonders bekömmlich. Die Pellkartoffeln, bei denen sich eine der eher unerfahrenen Köchinnen das Abschrubben sparte - die werden doch in kochendem Wasser von ganz alleine sauber oder etwa nicht? - und die auf dem Teller mächtig in den Quark rieselten. Gern denke ich (GB) auch an die sicherlich ungemein magenfreundliche Brotsuppe zurück, angenehm schleimig in der Konsistenz, von Verdauung anregendem Braun in ihrer Farbe und dazu mit exzellenter Haftfähigkeit am Teller. Ich bin bis heute überzeugt, dass sie sich ausgezeichnet zum Binden des nächsten Heftes hätte verwenden lassen. Auch die Tomatensoße, aus Versehen mit Zimt statt Pfeffer gewürzt, war gar nicht so übel, hatte frau sich erst einmal an die unerwartete Geschmacksvariante gewöhnt. Einige verstiegen sich gar zu der Behauptung, so etwas schon einmal in einem Restaurant der Spitzenklasse gegessen zu haben. Bei manchen gerieten auch die Portionen nach Art der Nouvelle Cuisine, sehr überschaubar, was dann auf den Teller kam. Zum Glück hatte die eine oder andere dann vorgesorgt und nach dem Essen wurden Chips und Kekse auf den Tisch geworfen, Schokolade, Lakritz und Alkohol, meist in Form von Rotwein.

Zu den legendären Gerichten gehört auch die Kartoffelkiste aus der Tiefkühltruhe, die Verlegenheitslösung einer Köchin unter Zeitdruck, überzeugend vor allem durch ihre Knusprigkeit (nicht die der Köchin), aber ganz ungewöhnlich, denn es gilt beim ihrsinnigen Kochen das übrigens nie formell festgelegte Prinzip, regionale, saisonale und frische Produkte zu verarbeiten, und natürlich wird vegetarisch gekocht, auch wenn nicht alle reine Vegetarierinnen sind. Die eine oder andere wird doch gelegentlich von einer heftigen Fleischeslust befallen.

wahnsinnig lesbisch tafeln

sinnlich sahnen, leib fast w_g.
gib' ihnen schnell was in' saft.
's weib lacht sinnig - flehn's an:
lass feinslieb nicht hangen! W...
...ahnsinnig schwafeln. Lebt's! (LL)

Kochen für IHRSINN war nie ganz einfach. Diverse Allergien und Unverträglichkeiten, Diätpläne, Geschmäcker und Vorlieben machten das Ganze einerseits zu einer Herausforderung, andererseits zu einem zeitweise recht schmalen Pfad der Möglichkeiten. Je größer die Gruppe, desto schmaler der Pfad. Meine Lösung für dieses Dilemma bestand sehr bald in einem eingeschränkten Repertoire an Gerichten, mit denen ich auf der sicheren Seite war. Immer wieder Quiche mit Salat in diversen, nie gewagten Variationen, manchmal ein Hirseauflauf mit Schafskäse oder ein Kartoffelgratin, hinterher eine Quarkspeise oder Mousse. Alles lecker und solide, aber nicht besonders kreativ. Meine geliebten süß­scharfen Pfannengerichte gab es bei IHRSINN noch nie, auch nicht den Rucolasalat mit Datteln und gebratenem Ziegenkäse oder die ultraüppigen Nachos Supreme. (UJ)

Als wir acht waren, war es oft schwierig, im Einzelhaushalt einen Topf zu finden, der die Kartoffelsuppe für alle fassen konnte. Lange kochte ich mit zwei Töpfen, in dem einen die Suppe ohne Zwiebeln. (RK)

Veränderungen vollziehen sich eher einmütig. Espresso nach dem Essen wird nur noch selten gewünscht, Süßes und Salziges zu späterer Stunde ebensowenig, und der Schnaps nach getaner Arbeit, lange Zeit fast eine Selbstverständlichkeit, ist zur Ausnahme geworden.
Das gemeinsame Essen strukturiert bis heute die Redaktionssit­zungen. Erst gibt es etwas zu essen. Als wir noch mehrere waren, haben wir uns selbst in Ferienzeiten regelmäßig zur wöchentlichen Redaktionssitzung getroffen. Hätten wir es getan, wenn es keine warme Mahlzeit gegeben hätte? Hat die Aussicht auf ein Essen die Verbindlichkeit und Kontinuität erhöht?
Wir kommen aus unseren unterschiedlichen Alltagssituationen zusammen und das gemeinsame Essen ist eine Möglichkeit, sich zu sammeln, sich zu konzentrieren. Sich aufeinander einzustellen. Keine, die direkt hungrig von ihrer Arbeit kommt, muss irgendetwas in sich hineinstopfen. Sie steht nicht unter Zeitdruck, schnell nach Hause zu kommen, um dort etwas «Richtiges» zu essen. Es ist eine Gelegenheit, vor der eigentlichen, meist konzentriert und effektiv ablaufenden Redaktionssitzung ein bisschen zu schwätzen, sich auszutauschen, Privates zu erzählen, Neuigkeiten an die Frau zu bringen und, klar, auch ein wenig zu tratschen.

Essen mit IHRSINN ist vertraut und schafft Vertrauen. Wenn wir gut für das gemeinsame leibliche Wohl sorgen, ist das nicht nur angenehm und verbindlich, sondern schafft auch eine gute Basis für die nicht selten konfliktreiche und anstrengende Zusammenarbeit. Das gemeinsame Essen hat immer wieder zu einer Geschlossenheit geführt, die wir in ihrem positiven Einfluss als Selbstverständlichkeit hinnehmen. Ohne dass wir das bewusst so eingerichtet hätten, haben wir durch diese feine Tradition eine Art Übergang geschaffen von dem, was wir sonst so treiben, zu dem, was wir gemeinsam angehen wollen.

Ich glaube, dass es IHRSINN ohne das Ritual des gemeinsamen Essens längst nicht mehr geben würde. Eine vielleicht etwas gewagte These, aber hier kommt der Beleg: Keine der anderen politischen Frauen­gruppen, in denen ich vor und neben IHRSINN Mitfrau war, existiert heute noch. Und ich erinnere mich genau: Dort gab es keine gemeinsa­men Essen! (UJ)

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