IHRSINN - eine radikalfeministische lesbenzeitschrift






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Generationen lautet das Thema für die nächste Ausgabe der IHRSINN .

Die meisten in unserer Redaktion sind mit einem Begriff von Generation aufgewachsen, mit dem wir uns als die Jüngeren und Nichtangepassten gegen die Älteren, die Spießer, die Bürgerlichen, die Nazimitläufer scharf abgrenzten. Vorbilder oder eine Verbundenheit mit einer anderen Altersgruppe gab es für uns als Heranwachsende praktisch nicht. Es scheint, dass vor 30 bis 40 Jahren diese Vorbilder – nicht anders als heute – in der eigenen Generation gesucht wurden.

Mit dem Beginn der Neuen Frauenbewegung und der frauenbewegten eigenen Politisierung änderte sich das Verhältnis zur Müttergeneration. Es gab gemeinsame Ursprünge in der Unterdrückung zu entdecken, und dies weckte die Hoffnung auf einen gemeinsamen Widerstand gegen das Patriarchat und die Männer und den Kapitalismus etc. Der Widerstand war in den 70ern untrennbar mit der Analyse der Unterdrückungsstrukturen verbunden.Unsere leiblichen Mütter fanden ihre eigenen Wege des Widerstehens, die in uns durchaus Respekt hervorriefen, jedoch war es höchstens im Ausnahmefall so, dass wir die Mütter – also die ältere Generation – als diejenigen ansahen, die unser Leben als Frauen oder gar Lesben in wegweisender Richtung beeinflussten. Als Vorbilder suchten wir uns die Urgroßmütter der 1. Frauenbewegung oder aus der Müttergeneration die widerständigen Frauen gegen den Nationalsozialismus oder kämpferische – oft wenig ältere – Frauen aus den Befreiungsbewegungen in den Ländern der Dritten Welt. Gerade lesbische Vorbilder wurden euphorisch entdeckt und ausgegraben – damals selten als «zwiespältige Ahninnen, sondern um die Geschichte der Liebe zwischen Frauen sichtbar zu machen. Nicht zufallig wurde das Konzept der «Schwesterlichkeit», der Sisterhood, als Alternative zum Mutter-Tochter-Konzept favorisiert, das mit der Vorstellung von Machtunterschieden behaftet war.

Im Kampf um Frauenbefreiung ging es immer wieder darum, generationenübergreifende Verbindungen herzustellen. Frauen werden im Sinne patriarchaler Spaltung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe gegeneinander ausgespielt, das Jungund Jugendlichsein wird – verinnerlicht auch in den Köpfen der Frauen selbst – höher bewertet als das Altsein. Innerhalb der (west-)deutschen Frauen- und Lesbenbewegung wurden konkrete alternative Ansätze im Verhältnis zwischen jungen und älteren Frauen zum ersten Mal in den 80er Jahren breit und kontrovers diskutiert. Die Mailänder Frauen hatten den «Affidamento» - Ansatz entwickelt. Als Konzept gegen die Gleichstellungspolitik setzten sie eine weibliche Genealogie, eine Generationenfolge der Frauen, in der die symbolische Ordnung in der Beziehung zwischen zwei Frauen weitervermittelt wird. Dabei vertraut sich die Eine, die eine Vermittlungsinstanz zwischen sich und der Welt sucht, nicht einer männlichen Instanz, sondern einer anderen Frau an, die ein «Mehr» verkörpert. Spielt dieses Konzept unter Lesben in Ost und West (noch) irgendeine Rolle?

Gibt es Theorien, die bestimmten Generationen zugeordnet werden können, Denkansätze, die nur in einer Generation anzutreffen sind? Haben beispielsweise junge Lesben ein anderes Verständnis von Feminismus als ältere oder hat sich das für alle gewandelt? Es besteht der Eindruck, dass jede Generation mit der «Bearbeitung» der Frauenfrage, mit der Entwicklung eines (lesbisch-) feministischen Denkens und (lesbisch-)feministischer Politik wieder von vorne anfängt. Stimmt das, oder wie findet eine Vermittlung statt? Wie beeinflussen sich das Alter von Frauen und die jeweiligen historisch-gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen, denen ja immer mehr als nur eine Generation gleichzeitig ausgesetzt ist? Migrantinnen in der BRD und anderen Einwanderungsstaaten werden u.a. über ihre Zugehörigkeit zu einer MigrantInnengeneration definiert bzw. ordnen sich dieser selbst zu. Welchen Stellenwert hat die Generationenfrage auf den verschiedenen Ebenen auch angesichts unterschiedlicher Migrationshintergründe für Lesben?

Wo sonst im politischen und privaten Lesbenleben spielen Generationen eine Rolle? Was bedeuten Generations- (und nicht nur Alters-)unterschiede in Beziehungen und Freundschaftenzwischen Lesben? Wie stellt sich die Generationenfrage im Lebenlesbischer Mütter mit Kindern? Lesben wünschen sich, in generationsübergreifenden Lebensformen zusammenzuleben. Wie lösen sie den Wunsch, mit Kindern zu leben, wenn sie keine eigenen Kinder haben und auch nicht auf die eugenischen Ausleseverfahren der Reproduktions- und Gentechnologien zurückgreifen wollen? Gibt es Utopien, auch für alte Lesben, oder steht eher der Zusammenschluss innerhalb der eigenen Generation im Zentrum?

Wie spiegeln sich Generationenbeziehungen im Verhältnis (lesbischer) Lehrerinnen und (lesbischer) Schülerinnen wider, also da, wo ein Vermittlungsbedürfnis und -auftrag in einer vorgegebenen institutionalisierten Form auf Neugier und Bedarf nach Wissen trifft.

Wie wird von Lesben heute das eigene Verhältnis zur Mutter (ggfs. zum Vater) reflektiert? Immer noch werden psychoanalytische Erklärungsansätze für eine frühtöchterliche Prägung des Verhältnisses zu Frauen (und Männern) herangezogen. Wir würden uns freuen über kritische Beiträge hierzu aus einer lesbischfeministischen Sicht.

Lesben erben. Lesben vererben. Spielt das Erbe der Lesben- und Frauenbewegung hier eine Rolle? Welches Erbe???

Beziehen wir uns und in welcher Weise auf das Erbe der 1.Frauenbewegung? Suchen auch ältere Lesben noch Vorbilder oder ist diese Suche typisch für Jüngere? Suchen ältere wie jüngere Lesben sie gerne in anderen Kulturen/Ländern oder in Gesellschaften, in denen eine weibliche – symbolische und materiell-biologische – Genealogie von Bedeutung ist oder war?

Wir erwarten mit Spannung eure Beiträge bis zum 15. März 2002.(Redaktionsschluss)

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