IHRSINN - eine radikalfeministische lesbenzeitschrift






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Schlussakkord

Abschied und Vorankündigung für eine letzte IHRSINN

Mit Heft Nr.29 wird sich IHRSINN verabschieden. Nach 15 Jahren ist ein Punkt erreicht, an dem wir in der Redaktion beschlossen haben, mit der Produktion unserer "radikalfeministischen Lesbenzeitschrift" aufzuhören.

Warum?
Mehrere Gründe haben zu unserer Entscheidung geführt. Sie sind politischer und persönlicher Natur, materieller und ideeller Art. Da ist einmal der kontinuierliche Rückgang der Abonnentinnen und Käuferinnen in den letzten Jahren. Ihre Anzahl hat jetzt einen Stand erreicht, der die Satz- und Druckkosten von IHRSINN bei weitem nicht mehr trägt. Da es vergleichbaren Zeitschriften ähnlich geht, ist ein Zuwachs nicht zu erwarten.

Eine weitere Ursache ist die politische Entwicklung. Es ist nicht so, dass wir der Meinung sind, das Patriarchat sei zu Ende und wir hätten uns mit ihm selbst überflüssig gemacht, was ja von Anfang an unser Ziel gewesen ist. Weit gefehlt und leider nicht. Patriarchat, Kapitalismus, Ausbeutung, Gewalt gegen Frauen, das alles ist nicht weniger geworden. Ein paar Freiräume in einigen Teilen der Welt haben Frauen sich erkämpft, ein paar Spielwiesen und die Freiheit, nun bei allen Scheußlichkeiten, die man zum Beispiel in Armeen begeht, mitmachen zu dürfen. Angesichts patriarchal-globaler Gefechtszüge meinen wir, dass die Verbreitung einer lesbisch-feministischen Position nach wie vor wichtig ist. Die Voraussetzungen dafür liegen jedoch nicht allein in den Händen der Redaktion, sondern in einem politischen Umfeld, das ein solches Bedürfnis mitträgt, das Diskussionen anregt und führt, das Interesse an politischen Auseinandersetzungen hat.

Es besteht aus den Leserinnen, die IHRSINN kaufen und damit auch die finanziellen Voraussetzungen für die technische Produktion eines Heftes schaffen. Zwar haben wir, seit es die Zeitschrift gibt, neben dem Verkauf zusätzliche Gelder benötigt und sie auch herangeschafft, aber auch das wird angesichts der so genannten Sparpolitik immer schwieriger und aufwändiger.

Der Rückgang der Abonnentinnen hängt sicher nur teilweise mit der globalen ökonomischen Umverteilung zusammen, die einzelne besonders hart trifft. Zu einem großen Teil liegt er darin begründet, dass das Interesse an radikalen politischen und an lesbisch-feministischen Standpunkten, in denen das Geschlecht als politische Kategorie eine Rolle spielt, abgenommen hat. Das Unverständnis, auf das diese Position trifft, hat zugenommen, mit dem wachsenden Unverständnis verschwinden Frauenräume und -zusammenhänge, Frauenbuchläden und Frauenzentren sind rar geworden, viele Frauen halten sie nicht mehr für erhaltenswert. Diese Tendenz zeigt sich quer durch die Generationen, sie hat mit dazu beigetragen, dass es von Jahr zu Jahr schwieriger wurde, neue (und jüngere) Lesben für die Mitarbeit in der Redaktion zu finden. Die letzten vier Ausgaben haben wir zu viert gemacht.

Angesichts dieser Strömungen haben wir uns oft selbst gewundert, dass es immer wieder gelang, Autorinnen und Künstlerinnen für IHRSINN zu gewinnen, die bereit waren, ihre Zeit, ihre Gedanken, ihre Kreativität in radikal unbezahlter Arbeit einzubringen. Auf diese Weise ist eine Menge an Lesbengeschichte, -theorie, -kultur.und -bewegung entstanden und dokumentiert, auf das wir und alle, die dazu beigetragen haben, stolz sein können.

Ein weiterer Grund, dass wir aufhören, liegt auch in unserer Redaktion selbst. Auf jeweils persönliche Weise, bedingt durch die je unterschiedlichen Lebensverhältnisse, die bei keiner von uns von Sicherheit und Wohlstand geprägt sind, ist uns die Arbeit an der Zeitschrift zuviel geworden. Auch die Zusammenarbeit unter uns Vieren war nicht immer einfach, es gab Spannungen, Konflikte, einiges konnte gelöst werden, anderes bleibt hängen. Keiner von uns fällt dieser Abschied leicht, jede beendet damit einen wichtigen Abschnitt ihrer Lebensgeschichte, gibt einen Teil ihrer Identität auf.

Aber, aufgemerkt und Hoffnung geschöpft! Wir gehen nicht sang- und klanglos unter, wir beerdigen mit Stil. Es wird ein letztes Heft geben, letzte Worte sozusagen. Damit es einmal heißt: es war a schöne Leich'. Wir wollen uns von unseren Leserinnen mit einer letzten Ausgabe der IHRSINN, die im Dezember erscheinen soll,verabschieden.

Klangvoll begannen wir das erste Heft im Januar 1990 als "Auftakt". Die Zeitschrift IHRSINN war als ein kollektives Projekt aus der Lesbenbewegung heraus entstanden. Es baute auf den ideellen und materiellen Ressourcen der Bewegung auf. Fünfzehn Jahre lang haben wir uns in vielstimmigen Variationen, mit Zwischentönen und blue notes, als Solo oder als Chor, mit kreativen Improvisationen, unterschiedlichen Stilrichtungen, im Einklang oder dissonant lesbenpolitisch eingemischt. Nun kommt der Schlussakkord. Mit dem letzten Heft wünschen wir uns einen Rückblick auf 15 Jahre Lesbenpolitik - nicht nur - in IHRSINN.

Welche Gründe gab es für Leserinnen und Autorinnen, in dieser Zeit ein-oder auszusteigen oder dabeizubleiben?

Welche persönlichen und politischen Veränderungen haben sie in ihrem Umkreis beobachtet? Es gab den Rückzug ins Private, in den Beruf, es gab Orientierungen hin zu anderen politischen Zusammenhängen, zu schwul-lesbischer oder linker Politik.

Stimmt es, dass viele mit Feminismus nichts mehr am Hut haben?

Gibt es gar eine Art lesbischen Antifeminismus?

Erschöpft sich Lesbenpolitik in Antidiskriminierungsarbeit?

Ist sie reine Identitätspolitik, selbstbezogen und beschränkt?

Ist die Weiterentwicklung eines radikalen lesbischen Feminismus, der über die Gleichstellungspolitik hinausgeht, noch ein Anliegen oder hat er sich erledigt, erübrigt, überlebt? Welchen Stellenwert hat infolgedessen ein Medium, das den Anspruch hat, solche Positionen zu verbreiten?

Lesen Lesben überhaupt noch Lesbenliteratur bzw. -theorie, welche liest feministische Theorie? Oder ist alles gesagt, und ändern tut sich ohnehin nichts. Müssten sich die Formen der Politik verändern (mal wieder) oder wo finden wir die neuen Weisheiten?

Was hat der Eindruck von Machtlosigkeit und Stagnation mit der anhaltenden "Krise" des Kapitalismus zu tun, mit der fortschreitenden Liberalisierung und Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse, mit der allgemeinen Akzeptanz einer durchkapitalisierten Gesellschaft? Mit dem Mangel an Utopien und Gegenentwürfen?

Lesen Lesben überhaupt noch Bücher, Zeitschriften, Gedrucktes, das nicht im Internet erscheint und das nicht kostenlos zur Mitnahme ausliegt?

Haben sich Printmedien für die Generation überlebt, die mit dem PC aufgewachsen ist? Das Leserinnenforum der IHRSINN wurde in den letzten Jahren fast nicht mehr genutzt, auch das sicher kein Zufall.

Uns interessiert aber auch, welche Hefte für Leserinnen eine ganz besondere Bedeutung hatten, ausgelöst durch welche Inhalte.
Welches Heft fandet ihr besonders gut und welches besonders daneben und in welchem Verhältnis stand dies zur politisch-persönlichen Geschichte?

Welchen Stellenwert als Lesematerial hatte IHRSINN als Ganzes über die Jahre hinweg? Und die Frage des Lesens andersherum gestellt: Was schreiben Lesben heute, Tagebuch, Gedichte, Mails, politische Analysen?
Vielleicht hat frau einen Text in der Schublade, den sie schon lange in IHRSINN sehen wollte, aber nie passte er so richtig zum Schwerpunktthema - letzte Gelegenheit!

Wird es ohne IHRSINN eine Lücke in der lesbenpolitischen Landschaft geben oder ist es genau der richtige Zeitpunkt, an dem Neues entstehen wird? Wie könnte es aussehen?

Wir wünschen uns Lobeshymnen und Liebeserklärungen, wir wünschen uns auch kritische Worte als Beiträge in Text und Bild, wir wünschen uns für diese letzte ihrsinnige Ausgabe einen Schlussakkord, der lange nachhallt.

Redaktionsschluss ist der 15. September 2004

Bochum, im Mai 2004

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